LEONARDO DA VINCI
Nichts wächst an einem Ort, wo es weder ein empfindungsfähiges noch wachstumsfähiges noch denkfähiges Leben gibt. Es wachsen die Federn auf den Vögeln und wechseln jedes Jahr; es wachsen die Haare auf den Tieren und wechseln jedes Jahr (...); es wächst das Gras auf den Wiesen und die Blätter auf den Bäumen, und jedes Jahr werden sie zum großen Teil erneuert. Wir können also sagen, die Seele der Erde ist das Vermögen zu wach- sen, und ihr Fleisch ist das Erdreich, ihre Kno- chen sind die aufeinanderfolgenden Verbin- dungen des Gesteins, aus denen sich die Gebirge zusammensetzen, ihre Knorpel sind der Tuffstein, ihr Blut die Wasseradern, der Blutsee rings um das Herz ist das Weltmeer, sein Auf und Nieder ist das Zu- und Abneh- men des Blutes in den Schlagadern, und bei der Erde ist es Flut und Ebbe des Meeres; und die Wärme in der Seele der Welt ist das Feuer, das in der Erde eingegossen ist, und die Seele, das Wachstumsvermögen, haust in den Feu- ern, die an verschiedenen Stellen der Erde hervorkommen als Bäder und Schwefelmi- nen und Vulkane wie auf dem Ätna in Sizilien und an vielen anderen Orten.
Leonardo da Vinci: Die Aphorismen, Rätsel und Prophezeiungen. Aus- gewählt und übersetzt von Marianne Schneider, München 2003.