Der Fuchs war auf der Jagd. Die Gier stieg in ihm hoch, steigerte seine sinnliche Wahrnehmung und schärfte seine Sinne. Die kleine Gans, die versuchte schnell vor ihm davonzuwatscheln hatte keine Chance. Er hatte ihren Duft abgespeichert und selbst wenn sie schnell rennen könnte, würde er ihre Duftspur verfolgen und sie letztendlich fangen.
Schon lief der Speichel aus seinem Maul und tropfte auf den Boden. Er malte sich den Moment aus, wo er sie am Hals packen würde und mit seinen Zähnen festhalten. Und sie, in hohen Tönen nach Hilfe schreiend, erkennen würde, daß es gleich mit ihrem Leben aus war.
Ihr zartes Fleisch und ihre Knöchelchen, welch ein Gaumengenuß würde er gleich erleben. Da sie so langsam lief, machte er immer wieder ein Päuschen. So, daß sie Hoffnung schöpfte ihm davonlaufen zu können. Doch sogleich rannte er wieder los und war in ihrer Reichweite.
Gerade in dem Moment als sie ganz nah bei ihm war und er schon zubeißen wollte, fing die Erde an zu zittern. Die Luft um ihn herum fing an zu schwingen und erzeugte ein hohes Geräusch, das seine Ohren schmerzte. Und kurz bevor dieser Ton wieder verklang, erreichte ihn ein Lichtstrahl. Ein Lichtstrahl, welcher die Verhärtung in seinem Herzen löste.
Und Wärme zog in sein Herz ein und weichte es auf. Er bremste seinen Lauf ab und ließ sich schlitternd auf die Erde fallen. Was ist nur mit mir los ? Er dachte, dieses Gefühl da, in mir, das mag ich gar nicht ! Doch der Prozeß der begonnen hatte, ließ sich nicht stoppen. Die kleine Gans, die den Vorfall mitbekommen hatte, blieb stehen. Und musterte ihn neugierig. Sie fühlte sogleich, daß sich tief im Fuchs etwas verändert hatte. Das weckte nicht nur ihre Neugier, sondern verlieh ihr die Gewissheit, daß der Fuchs ihr jetzt nichts mehr antun könnte.
Sie watschelte zu ihm und fragte in ihrer naiven und kindlichen Art: „Hast du dir Aua gemacht ?“ Das gab dem Fuchs den Rest. Er schaute dieses kleine und süsse Geschöpf an, das weißgefedert vor ihm stand. Und dachte, wie konnte ich jemals einer Gans etwas zuleide tun ? Und ihnen ihr Leben nehmen ! Den Gänsekindern die Mama stehlen. Und der Gänsemutter das Leid zufügen, ihren Nachwuchs den Garaus zu machen.
Er fühlte sein Herz wild schlagen und ein schlechtes Gewissen zog in ihn ein. Schuldgefühle überfluteten ihn. Tränen tropften auf den Boden und wurden sofort von der Erde aufgesogen. Als verzögerte Antwort kam aus seinem Maul: „Kleines Entchen, es tut mir leid, daß ich dich so erschreckt habe !“ Ich kann es selbst nicht begreifen, wie ich jemals Enten und anderes Getier jagen konnte und gierig verspeisen !“
Die kleine Gans erkannte die Aufrichtigkeit der gesprochenen Worte und zupfte voller Anteilnahme an seinem Fell. Der Fuchs war davon so berührt, daß er ihr zaghaft das Gesicht abschleckte und sich, immer noch unangenehm berührt und den Schwanz eingekniffen, verabschiedete und als gewandelter Fuchs davonzog.
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© Elli (Elke Strohmaier)
Bildquelle: Yvonne Huijbens auf pixabay
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