Eine Überraschung für Rosarot (2)

Auf der Flucht vor einem aufdringlichen Täuberich hatte die Stadttaube sich verflogen. Sie landete auf einem ausladenden Ast eines Baum, um eine Pause einzulegen. Aufmerksam nahm sie die üppige grüne Natur um sich herum wahr und genoß die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Federkleid.

Spontan entschloß sie sich eine Zeit lang auf dem Land niederzulassen. Es war so still hier. Hier kam sie innerlich zur Ruhe und konte Abstand zu den Geschehnissen in der Stadt gewinnen.

Dann flog sie weiter. Und sah von oben, in einiger Entfernung, eine Mini-Stadt. Ihre Cousine hatte sie Dorf genannt. Als sie dem Dorf näher kam hörte sie ein Mähen, Muhen und Wieher-Geräusche. Und dachte sich, dort wo viele Tiere wohnen gibt es bestimmt auch nette Menschen, die eine kleine Turtel-Taube willkommen heißen.

Ihre Reise war lang gewesen. Und mit letzter Kraftanstrengung landete sie, sehr unelegant, auf einem Heuballen eines Bauernhofes. Bereits nach kurzer Zeit kam eine andere Taube zu ihr hergeflattert.

Die Landtaube Rosarot, die auf diesem Bauernhof, von Ei an, aufgewachsen war, hatte ihre unsichere Landung beobachtet und flog sofort herbei. Mit Freude nahm sie wahr, daß die Täubin auch der Familie der Turteltauben entstammte. Einer scheinbar sehr seltenen Züchtung. Sie hatte noch nie eine weiße Turteltaube gesehen ! Als sie ihren schlechten körperlichen Zustand wahrnahm stieg großes Mitgefühl in ihr auf.

Sie musterte ihr glanzloses weißes Federnkleid mit einigen ausgerupften Stellen. Ihre Augen waren entzündet. Und ihre Krallen leicht verkümmert. Wohl von dem vielen Laufen, nach Nahrungssuche, auf dem harten Boden in der Stadt.

Auf eine wortlose Art tauschte sie sich mit ihr aus und erfuhr was ihr widerfahren war.

Gespannt hörte Rosie der Taube beim Erzählen zu. Sie kam aus der Stadt und hatte sich verflogen. Bei dem Versuch einem aufdringlichen Täuberich zu entkommen, hatte sie die Orientierung verloren. Der aufdringliche Täuberich Gott sei Dank auch.

Da das Turteltäubchen keinen Namen hatte, entschloß sich Rosarot einen Namen für sie zu finden. In dem Moment, als die Bauersfrau Rosie vorbeikam, fiel ihr ein Namen für sie ein.

Rosarot flog auf die Schulter von Rosie. Und berührte sacht, mit ihrem Schnabel, den Anhänger, der an einer Kette befestigt war. Darin war ein kleines Edelweiß enthalten. Sie pickte immer wieder sanft darauf, bis die Bäuerin verstand was sie damit zum Ausdruck bringen wollte.

Sie schaute Rosarot an und wußte sofort was sie ihr damit sagen wollte. Sie nahm ihren Anhänger in die Hand und sagte nur: „Edelweiß“. Und Rosarot rieb, als Bestätigung, ihre Backenseite an Rosies Wange.

Rosie beugte sich zu dem Stadttäubchen hinunter und begrüßte sie: „Herzlich willkommen, kleine Edelweiß !“ „Du darfst solange bei uns weilen, wie du möchtest !“

Plötzlich lief sie weg und brachte kurze Zeit später zwei große Plastik-wannen mit. Und befüllte sie mit warmen Wasser. Und fügte Rosenwasser hinzu. Rosarot flatterte aufgeregt und freute sich auf das Wasserbad. Und flog als Erste in eine Schüssel hinein. Das Wasser spritzte in die Höhe.

Edelweiß folgte ihr zugleich und landete in der zweiten Wanne. Freudig schlug sie ihre Flügel auf und ab. Dabei entstiegen ihr schnurrende „turrr“-Laute. Der Stadtschmutz löste sich von ihr ab und färbte das Wasser gräulich. Rosie duschte sie noch mit einer Kanne Wasser ab.

Und richtete für die beiden, das Abendmahl auf der Terrasse an. Die untergehende Sonne beschien und trocknete Rosarot und Edelweiß. Aneinandergekuschelt, ihre Äuglein geschlossen, gaben sie sich den aufsteigenden Träumen hin. Und ließen die Begrenzungen von Raum, Zeit und Materie hinter sich …

© Elli (Elke Strohmaier)

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Fotoquelle: Hans Rentsch/fotocommunity

(So sieht z.B. eine wirkliche Turteltaube aus.)

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