Wie unerkanntes Trauma uns gefangen hält und wie wir es auflösen – Satya Marchand -1-

Auszüge aus dem Buch „Wege in die Freiheit. Wie unerkanntes Trauma uns gefangen hält und wie wir es auflösen“, von Satya Marchand“

Was ist Trauma ?

Der Duden definiert Trauma als „starke psychische Erschütterung“, die (im Unterbewusstsein) noch lange wirksam ist“. An dieser Definition stimmt nur, daß ein Trauma noch lange wirksam ist. Weder handelt es sich um eine psychische Erschütterung, noch ist es im Unterbewusstsein wirksam.

Im englischsprachigen Webster wird Trauma als etwas Emotionales definiert, was es eindeutig nicht ist. Trauma steht zwar in Wechselwirkung mit Emotionen, ist aber dennoch ein Körperzustand.

Trauma ist ein Körperzustand, der im autonomen Nervensystem wirksam ist.

Traumaforschung

Die Traumaforschung ist eine noch sehr junge Disziplin, die sich mit der Erforschung und Behandlung von traumatischen Ereignissen auf Menschen und soziale Systeme befasst.

Die Polyvagaltheorie, die Dr. Stephen Porges 1994 in den USA veröffentlichte, gilt als bahnbrechend für die Forschung und Traumatherapie und hat die Sichtweise auf Trauma revoltioniert.

Renommierte und bekannte Therapeuten, die die Polyvagaltheorie zur Grundlage ihrer Arbeit gemacht haben, darunter Peter Levine, beweisen mit den Erfolgen ihrer therapeutischen Tätigkeit, daß Traumheilung über den Körper erfolgen muß, weil Trauma im Körper gespeichert ist und dort wirkt.

Trauma ist ein Körperzustand und ohne die von Stephen Porges beschriebenen Zusammenhänge zwischen belastenden kindlichen Erlebnissen und den daraus resultierenden körperlichen Reaktionen im autonomen Nervensystem ist nicht zu verstehen, wie ein in unserer Gesellschaft als normal angesehens elterliches Verhalten so gravierende Folgen für ein Kind haben kann.

Das autonome Nervensystem versorgt und reguliert unsere inneren Organe und Drüsen und ist zuständig für alle lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung, Blutdruck, Entgiftung, Körpertemperatur und vieles mehr.

Das sympathische Nervensystem ist zuständig für alle Aktivitäten und aktiviert den Körper auch in Stresssituationen, um fliehen oder kämpfen zu können.

Während der ventrale Zweig des parasympathischen Nervensystems für Regeneration, Verbundenheit, soziale Interaktionen, … zuständig ist.

Der dorsale Zweig des parasympathischen Nervensystems ist sowohl für tiefe Entspannung als auch für die Immobilität der Erstarrung und des Kollabierens zuständig.

Unterschiedliche Arten von Traumatisierungen

Es wird unterschieden zwischen einmaligen und kurz andauernden beziehungsweise mehrmaligen und lang andauernden Traumatisierungen.

Auch lässt sich unterscheiden, ob es sich um Traumatisierungen handelt, die durch andere Menschen verursacht wurden. Oder zum Beispiel aufgrund von Naturereignissen entstanden sind. Die Unterscheidung kann für die Therapie von Bedeutung sein.

Bindungs- und Entwicklungstrauma

Kollektives Trauma

Unter kollektiven Traumata versteht man extreme Gewalterfahrungen, die nicht nur bei einzelnen Menschen, sondern auch in den betroffenen Gemeinschaften und Völkern tiefe Spuren hinterlassen. Wie zum Beispiel Terroranschläge, Kriege, politische Verfolgung, Völkermord, aber auch Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Tsunamis.

Diese Ereignisse verankern sich im kollektiven Gedächtnis und beeinflussen das Fühlen, Denken und soziale Handeln von Gruppen und Gemeinschaften.

Transgenerationales Trauma

Der Begriff bezeichnet die Weitergabe von traumatischen Erfahrungen und Erlebnissen der Angehörigen einer Generation an die nächste Generation. Diese Weitergabe kann sowohl durch Vererbung und zusätzlich codierte Informationen (Epigenetik) als auch über das Verhalten erfolgen und geschieht in aller Regel unbewusst und ungewollt. Transgenerationale Traumata stehen in engem Zusammehang mit kollektiven Traumata.

Bin ich traumatisiert ?

Um herauszufinden, ob und inwiefern Trauma in deinem Leben eine Rolle spielt und dann die für dich richtigen Schritte zu unternehmen, ist eine gute Orientierung wichtig. Je genauer du deine Situation kennst, desto leichter wird es dir fallen, gute und heilsame Entscheidungen zu treffen.

Nicht immer ist es sinnvoll, deine Hausärztin oder deinen Hausarzt um eine Einschätzung zu bitten. Weil die Traumaforschung eine so junge Disziplin ist, die kaum die engen Fachkreise verlassen hat, ist es leider so, daß sich die meisten Ärzte, Mediziner, Therapeuten und Kliniker noch nicht mit diesem Gebiet auseinandergesetzt haben.

Deshalb kann eine eigene Bestandsaufnahme hilfreich sein. Im Folgenden findest du eine Liste von Symptomen, die darauf hinweisen können, daß du Traumafolgen trägst.

Mögliche Anzeichen für Trauma

  • Schlafstörungen
  • Depression
  • Starke Stimmungsschwankungen
  • Panikattaken
  • Dissoziation
  • starke innere Unruhe
  • Unfähigkeit zu entspannen
  • Entscheidungsschwierigkeiten
  • eingeschränkte Körperwahrnehmung
  • eingeschänkte Gefühlsfähigkeit
  • fehlende Lebensfreude
  • Beziehungsprobleme
  • Mobbingprobleme
  • keine Nähe zu geliebten Menschen empfinden
  • keine Freude empfinden
  • kein Gefühl von Dankbarkeit
  • Prokrastination („Aufschieberitis“)
  • keine eigene Position vertreten, sondern grundsätzlich die Meinung anderer übernehmen
  • Nein sagen fällt schwer und erzeugt massiven Stress
  • Angst vor der Reaktion anderer
  • für sich selbst einzustehen und Grenzen zu setzen, macht große Angst
  • körperliche Symptome, die entweder immer wieder auftreten oder chronisch geworden sind und für die man keine Ursache findet
  • Mysteriöse Krankheitsbilder, die von der Schulmedizin als „psychosomatisch“ eingestuft werden
  • Zöliakie
  • Schilddrüsenprobleme
  • Rückenschmerzen
  • sogenannte psychische Beschwerdebilder, zum Beispiel bipolare Störungen, Borderline, Suizidgedanken, Zwangshandlungen, Süchte, Burn-out, Phobien
  • Wenn Psycho- oder Verhaltenstherapie nicht helfen
  • Hochsensibilität als Traumafolge

Da weder Psycho- noch Verhaltenstherapie funktionieren können, solange Trauma im Hintergrund wirkt, bitte deinen Arzt darum, daß er dir körperorientierte Therapien verordnet.

Trauma ist ein Körperzustand, und alles, was angenehm und regulierend auf den Körper wirkt, ist unterstützend.

Kassenärztlich anerkannte Therapien sind zum Beispiel Physiotherapie, Ergotherapie, Caranio-Sacral-Therapie oder Massagen

Erkundige dich auch nach den Möglichkeiten von Gestalt-, Kunst-, Musik- oder Tanztherapie.

Der Einfluss des autonomen Nervensystems

Beispiel aktivierter Überlebensmodus

Dein Nervensystem hat die Aufgabe, dein physisches Überleben zu sichern. Dazu prüft es mittels Neurozeption in jeder Sekunde, ob noch alles in Ordnung ist und du in Sicherheit bist.

Wenn du nun emotional auf etwas reagierst, zum Beispiel auf einen spannenden Kinofilm, wird das immer von bestimmten Körperreaktionen begleitet. Und wenn dein Erleben von Angst, Anspannung und Schrecken bestimmt ist, dann reagiert dein Nervensystem entsprechend, indem es den Überlebensmodus aktiviert, weil es davon ausgehen muß, daß du in akuter Gefahr bist.

Es ist besonders wichtig zu verstehen, daß genau das Gleiche wie im Kino passiert, wenn du dich in vergangenen und schmerzhaften Erlebnissen deiner persönlichen Biografie bewegst.

Wenn du dich emotional mit zurückliegenden Verletzungen verbindest, geht dein Nervensystem davon aus, daß du dich genau jetzt, in diesem Moment, wieder in einer verletzenden, schmerzhaften und möglicherweise lebensbedrohlichen Sitation befindest.

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Im nächsten Beitrag geht es um das Neurogene Zittern. Das neurogene Zittern ist keine Technik und auch keine Methode, sondern ein Selbstheilungsreflex des autonomen Nervensystem. Alle Säugetiere haben diesen Reflex und so auch der Mensch, der aufgrund seiner biologischen Struktur ebenfalls ein Säuger ist.

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Quelle: „Wege in die Freiheit. Wie unerkanntes Trauma uns gefangen hält und wie wir es auflösen“, von Satya Marchand

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Fotoquelle: geralt auf pixabay

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